Wie der CO2-Emissionshandel das Klima wirklich schützen kann

Interview mit private banking, veröffentlicht am 21.11.2021

Experten sind sich einig: Um die Pariser Klimaziele erreichen zu können, muss Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre entfernt werden. Ein Vorschlag dazu kommt von einem Team um den Physiker Johannes Bednar vom International Institute for Applied Systems Analysis in Laxenburg (Österreich). In der Fachzeitschrift „Nature“ schlägt es ein spezielles Emissionshandelssystem (EHS) vor.

 

private banking magazin: Herr Allinger, Sie haben sich eingehend mit dem Modell von Johannes Bednar befasst. Können Sie es uns kurz erläutern?

 Hanjo Allinger: Materiell fordern die Autoren die Implementierung eines jährlichen Schwellenwertes für Emissionen. Dieser könnte unabhängig von der Anzahl an Emissionsberechtigungen, die bereits im Europäischen Emissionshandelssystem vergeben werden, festgelegt werden. Beabsichtigt wird damit eine implizite Erhöhung der jährlichen Soll-Reduktionsrate, die durch die Verknappung der Emissionsberechtigungen im Europäischen Emissionshandel bereits vorgegeben wird.

Die zusätzlichen Belastungen könnten – und das ist neu – dann aber durch die neu einzuführende Möglichkeit von CO2-Schulden in die Zukunft verschoben werden. Für eine Überschreitung der neuen Schwellenwerte müssten sich Unternehmen physisch verpflichten, in der Zukunft eine entsprechende Menge an Emissionen durch die sogenannten Carbon-Capture-and-Storage-Technologien (CCS) aus der Atmosphäre zu ziehen. Technisch würde also der Pfad zur Emissionsvermeidung zunächst überschritten, später aber, so die Hoffnung, ausgeglichen. Die Kosten für die Erreichung des 1,5-Grad-Ziels hätten dann die Unternehmen und nicht die öffentlichen Haushalte getragen.

 

Kann ein solches Emissionshandelssystem funktionieren?

 Allinger: Die wesentlichen Probleme in der praktischen Umsetzung werden von den Autoren selbst benannt: Das Risiko einer Insolvenz der Firmen oder ein staatlich geförderter Schuldenerlass könnten diese Rechnung zunichtemachen. Aber auch dann, wenn diese Probleme zufriedenstellend gelöst werden könnten – was nicht jeder für realistisch halten muss – bliebe dies noch immer eine hochriskante Wette auf den flächendeckenden Einsatz heute noch nicht ausreichend funktionaler Technologien zum CO2-Rückbau.

 

Wie stehen die Erfolgsaussichten dieser Rückbau-Technologien?

 Allinger: Weltweit sind derzeit lediglich 21 Großanlagen in Betrieb, die mittels CCS Kohlendioxid abscheiden. Überwiegend handelt es sich hierbei um Anlagen im Kontext der Öl- und

Gas-Förderung. Beispielsweise wird das bei Ölbohrung frei werdende Methan zur Energieversorgung der Plattformen eingesetzt. Das bei der Methan-Verstromung erzeugte Kohlendioxid wird wie beim Mineralwasser in Wasser gebunden und dann wieder in die Lagerstätte verpresst. Abgesehen vom Klimaaspekt dient dieses Verfahren dazu, den Förderdruck der Lagerstätte aufrechtzuerhalten. Im Allgemeinen benötigt das CCS-Verfahren sehr viel Energie und Wasser. Sinnvoll und möglich ist es nur dann, wenn an dem Ort, an dem CO2 großvolumig produziert wird, mit Kalk- und Silikatgestein auch ein geeignetes Wirtsgestein vorhanden ist, in welches das Kohlendioxid respektive die daraus gebildete Kohlensäure verpresst werden kann.

Alle diese 21 Anlagen zusammen können nach Angaben der Internationalen Energie-Agentur (IEA) jährlich 40 Megatonnen Kohlendioxid abscheiden. Zurzeit emittieren wir weltweit etwa 1000 Mal so viel. Die IEA hat einmal geschätzt, dass wir eine Industrie aufbauen müssten, die in ihrem Umfang der heutigen Öl- und Gasindustrie entspräche, wenn wir rund 5 Gigatonnen CO2 einlagern möchten. Und das wäre nur ein Achtel der heutigen Emissionen pro Jahr. Vollkommen ausgeschlossen ist das nicht, wahrscheinlich aber auch nicht.

 

Welche Optionen gibt es noch?

 Allinger: Neben technischen Möglichkeiten zur-CO2-Abscheidung träumen einige davon, die Speicherfähigkeit natürlicher Senken wie die der Ozeane zu erhöhen. Durch großflächige Düngung der Meere mit Eisenoxid soll das Wachstum von Plankton angeregt werden. Der nicht in der Nahrungskette verbrauchte Teil des Phytoplanktons sinkt nach dessen Absterben zum Meeresboden und der darin gebundene Kohlenstoff ist dem Kreislauf längerfristig entzogen. Welchen Beitrag dies in der Praxis tatsächlich zur Abscheidung von CO2 leisten kann, ist jedoch noch nicht hinreichend erforscht. In der Wissenschaft ist die Skepsis gegenüber solchen Geo-Engineering-Projekten sehr groß.

 

Woran hakt der derzeitige Klimaschutz per Emissionshandel?

 Allinger: Die derzeitige Reduktionsrate von 2,2 Prozent der im Rahmen des Europäischen Emissionshandels jährlich ausgegebenen Emissionsrechte reicht nicht aus, um das 1,5-Grad-Ziel ohne ein Überschießen, also die temporäre Überschreitung des für 1,5 Grad verbleibenden CO2-Budgets zu erreichen. Derzeit bräuchten wir nach meinen Berechnungen eine Reduktion der klimarelevanten Gase von rund 7 Prozent pro Jahr, die in Zukunft (dann auf absolut geringerem Niveau) noch deutlich steigen müsste. Es ist unrealistisch zu erwarten, dass die Differenz in der tatsächlichen Reduktion der Schwerindustrie und der erforderlichen Reduktion durch entsprechend höhere Einsparungen in den nicht erfassten Unternehmensbereichen oder durch die privaten Haushalte erbracht werden kann. Bereits emittiertes CO2 muss also wieder in der Atmosphäre gebunden und abgeschieden werden.

Dies vorausgesetzt, steuern wir aber auf eine Situation zu, in der wir bereits zu einem Zeitpunkt bei netto null Emissionen sein sollten, zu dem den Unternehmen noch immer Emissionsrechte zur legalen Verschmutzung zu Verfügung stehen. Es muss also massiv in Technologien zum Abbau von CO2 investiert werden. Wollen wir das 1,5-Grad-Ziel nicht verfehlen, müssten die dafür erforderlichen Mittel von der öffentlichen Hand aufgebracht werden.

 

Dieses Problem sieht auch Bednar. Er schlägt vor, Emissionsobergrenzen für Unternehmen einzuführen, mit denen das 1,5-Grad-Ziel noch erreicht werden kann. Was halten Sie von diesem konkreten Ansatz?

 Allinger: Ich schließe nicht aus, dass er funktionieren könnte. Nach meiner Einschätzung viel einfacher, transparenter und sicherer wäre dasselbe zumindest in Europa durch eine deutlich höhere jährliche Reduktion der neu versteigerten Emissionsberechtigungen zu erreichen. Würde ihre Anzahl so stark verknappt, dass sie genau dem restlichen, auf Europa entfallenden Kohlendioxid-Budget, bei Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels entspräche, wären alle Ziele erreicht: Das 1,5-Grad-Ziel würde eingehalten, und die Finanzierung der Investitionen in Technologien zur Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid würden von den Unternehmen (respektive ihren Kunden) getragen. Parallel sollte die Anzahl der Wirtschaftssektoren, die zur Teilnahme am EHS verpflichtet sind, ausgedehnt werden und eine Benachteiligung der europäischen Produzenten gegenüber weniger regulativen Produktionsstandorten bei Im- und Export durch einen Grenzausgleich verhindert werden.

Ganz konkret benötigen wir also übergangsweise einen Importzoll und eine Exportsubvention, die beide von der Berücksichtigung der Emissionen im Produktions- und Absatzland abhängen. Investitionen in die Erforschung von Techniken zur CO2-Abscheidung würden dadurch vermutlich sogar noch stärker beschleunigt, weil der Kostendruck schneller zunähme. Gleichzeitig würde die deutlich höhere Transparenz die tatsächlichen gesellschaftlichen Kosten viel stärker verdeutlichen und auch Zielkonflikte mit anderen gesellschaftspolitischen Oberzielen schneller deutlich machen.


Mit Cap2 haben Sie im Sommer dieses Jahres selbst eine Plattform zur Vermeidung von Emissionen ins Leben gerufen. Wie funktioniert Ihr Modell?

 Allinger: Auch wir setzen auf die Lenkungskraft des europäischen Emissionshandels. Für institutionelle Anleger wie etwa Fondsgesellschaften, Pensionskassen und Stiftungen oder auch für Einzelunternehmer berechnen wir die verantworteten Emissionen. Dann kaufen wir in diesem Umfang Emissionsrechte an der europäischen Energiebörse EEX und geben sie an eine Klimaschutzstiftung weiter. Die Emissionsberechtigungen werden Teil des Stiftungskapitals, das staatlich kontrolliert nie angetastet werden darf. Damit ist garantiert, dass sie nie wieder zur Legitimation von Emissionen verwandt werden können. Da die Menge der verfügbaren Emissionsberechtigungen gesetzlich vorgegeben ist, brauchen wir dabei nicht auf einen Preiseffekt warten – jede Tonne zählt.

Wir kompensieren also nicht, wir reduzieren Emissionen. Über den Marktmechanismus finden wir einen europäischen Partner, der bereit ist, gegen Bezahlung mehr Emissionen zu reduzieren als er gesetzlich müsste. Letztlich ist das nichts anderes als arbeitsteilige Emissionsvermeidung. Die vollständige Klimaneutralität oder die Kompatibilität mit dem 1,5-Grad-Ziel bestätigen wir mit einer Urkunde und einem Siegel.

 

Gibt es bereits ähnliche Modelle auf dem Markt?

 Allinger: Wir glauben, dass wir derzeit einer der ganz wenigen Anbieter auf dem Markt sind, die eine sichere Verringerung von Emissionen anbieten können. Nach dem Inkrafttreten der Übereinkunft von Paris in diesem Januar ist eine sichere Kompensation der eigenen Emissionen durch Kompensationsprojekte kaum noch möglich.

Weil sich jetzt jedes Land individuell zu einer Reduktion der Emissionen verpflichtet hat, besteht stets die Gefahr, dass die Gast-Länder von Klimaprojekten in Folge des Engagements von Klimaschützern eigene Bemühungen zur CO2-Reduzierung verringern. Damit kann die dort erzielte Einsparung nicht mehr sicher als zusätzlich erbracht angesehen werden und mit eigenen Emissionen verrechnet werden.

 

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