Wenn schon Kohleausstieg, dann aber bitte richtig!

Die grüne Bundestagsfraktion plant, auch in den neuen Bundesländern das Tempo des Kohleausstiegs zu erhöhen und schon im Jahr 2030 die Kohleverstromung zu stoppen. Bisher war geplant, den Ausstieg im Jahr 2038 vorzunehmen. Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland nach 65 Jahren Atomkraft in wenigen Wochen die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet werden und der Ausbau erneuerbarer Energien eher stockt, mag das unter dem Aspekt der Versorgungssicherheit ein mutiger Schritt sein. Man kann sich auch fragen, ob es politisch und demokratietheoretisch ein guter Stil ist, wenn einmal gefundene Kompromisse wieder aufgekündigt werden. Allerdings ist es das Privileg der Politik, auch ambitionierte Ziele zu setzen und damit gewollte Veränderungen mit Nachdruck voranzutreiben. Daher fühlen wir uns bei CAP2 nicht berufen, hier eine übermäßige Kritik zu äußern, zumal wir uns fachlich nicht anmaßen können, mit letzter Sicherheit Aussagen über die Versorgungssicherheit im Jahr 2030 treffen zu können. Was uns aber umtreibt, ist tatsächlich die Sorge um den Effekt auf das Klima, der von dieser Maßnahme ausgeht bzw. ausgehen soll.

 

Klimaeffekt möglicherweise gleich Null?

Diese Sorge um den Klimaeffekt mag zunächst überraschen, ist doch ein Aus in der Kohleverstromung zunächst für sich genommen ein gewichtiger Beitrag, um deutsche Klimaziele zu erreichen. Nicht ohne Grund steht gerade die Kohleverstromung weltweit in der Kritik, da gerade das Verfeuern von Kohle (beispielsweise verglichen mit Gas) ein ineffizienter und gleichzeitig CO2-intensiver Prozess ist, um Strom zu produzieren – von den Feinstaubemissionen und den ständigen Unfällen in Kohlebergwerken einmal ganz abgesehen. Nur ist leider die Welt manchmal ein wenig komplizierter, als man es vielleicht gerne hätte. So werden Emissionen von Kohlekraftwerken in Europa über den europäischen CO2-Emissionshandel gesteuert. Kohle kann nur in der Kohleverstromung verfeuert werden, wenn für die damit entstehenden CO2-Emissionen europäische Emissionsrechte vorliegen. Diese müssen nach Erwerb im Umfang der stattfindenden Emissionen gelöscht werden. Durch diesen Mechanismus ist sichergestellt, dass Emissionen in den betroffenen Wirtschaftssektoren überhaupt nur dann stattfinden können, wenn Emissionsrechte dafür existieren. Der Emissionshandel ist tatsächlich das zentrale Instrument der EU, um Emissionen zu steuern und zu reduzieren, und dies funktioniert seit einigen Jahren erfolgreich und gut. Und das zu CO2-Vermeidungskosten, von denen die Politik eigentlich sonst nur träumen kann.

Jetzt kommt leider der Haken. Wenn in Deutschland Kohlekraftwerke stillgelegt werden, dann werden lokal die Emissionen gesenkt. Aber gilt das auch aus europäischer Brille? Die Antwort ist an dieser Stelle sehr eindeutig: Nein. Denn nur weil Kohlekraftwerke keine Kohle mehr verbrennen, muss das nicht bedeuten, dass die frei werdenden Rechte in diesem Umfang nicht mehr genutzt werden. Ganz im Gegenteil; natürlich werden die Rechte anderweitig für Emissionen genutzt. In Europa sind die Emissionsrechte inzwischen sehr teuer. In den letzten Jahren ist der Preis für Emissionsrechte teilweise deutlich stärker gestiegen als für Aktien oder andere Wertpapiere. Die hohen Preise für EU-Emissionsrechte sind damit ein verlässlicher Knappheitsindikator. Die Rechte sind teuer, weil sie einen realwirtschaftlichen Wert haben. Dieser realwirtschaftliche Wert besteht darin, Emissionen damit legitimieren zu dürfen. Wir können und müssen daher ganz zwangsläufig davon ausgehen, dass die in Deutschland nicht genutzten Emissionsrechte (als Ergebnis eines vorgezogenen Endes der Kohleverstromung) natürlich woanders zusätzlich genutzt werden, um Emissionen zu legitimieren. Mit anderen Worten und vielleicht etwas überspitzt formuliert: Deutschland subventioniert den überdurchschnittlich langen Betrieb von Kohlekraftwerken in Polen, Ungarn oder Italien, indem wir auf die Kohleverstromung verzichten. Das ist teuer für die deutschen Steuerzahler, denn die Abfindungen an die Versorger müssen vom Steuerzahler getragen werden. Das ist zudem günstig für Verbraucher außerhalb von Deutschland, da durch das unverhofft hohe Angebot an CO2-Emissionsrechten die Kohleverstromung in anderen Ländern günstiger wird. Und für das Klima hat es – das ist fast die Ironie der Geschichte – gar keine Relevanz, denn dem Klima ist es egal, ob Emissionen in Deutschland oder einem anderen Land entstehen.

 

Es gäbe eine Lösung

Nun könnte man an dieser Stelle fast verzweifeln, jedoch existiert eine sehr einfache Lösung, die auch dafür sorgt, dass es einen positiven Klimaeffekt gäbe. Die Bundesregierung müsste exakt im Umfang der frei gewordenen Emissionsrechte dafür sorgen, dass diese Rechte vom Markt genommen werden. Das kostet Geld, aber erst dann gäbe es einen Effekt. Es gibt in der Bundesregierung und auch in den relevanten Ministerien durchaus Kenntnis über diesen Sachverhalt, aber bisher hat dies noch zu keinen Konsequenzen geführt. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die Stilllegung des Kohlekraftwerkes Moorburg; hier hat man bisher versäumt, die freiwerdenden Emissionsrechte dem Markt zu entziehen. Damit lässt sich schon jetzt festhalten, dass der bisher angepeilte Klimaeffekt der Stilllegung des Kraftwerks Moorburg tatsächlich aktuell gleich Null ist. Das tut besonders weh, wenn man bedenkt, dass gerade dieses Kraftwerk auch noch zu den effizientesten Kohlekraftwerken der Welt gehörte.

Es existiert übrigens noch ein Aspekt, der im Kontext des Endes der Kohleverstromung systematisch ausgeblendet wird: Eigentlich müsste man gar keine Kraftwerke stilllegen; es würde vollkommen reichen, weniger neue Emissionsrechte zu emittieren oder bestehende aus dem Markt zu nehmen. Der Markt regelt den Rest. Das wäre tatsächlich volkswirtschaftlich günstig und hätte den klimatechnisch gewünschten Effekt. Nur die Pressetermine vor Kühltürmen ohne Wasserdampf ließen sich weniger eindrucksvoll arrangieren.

 

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