Kompensationsgeschäfte mit freiwilligen CO 2 Zertifikaten werden zum Reputationsproblem für Unternehmen

Die Grundidee der Kompensationsgeschäfte

Wer heute eine Dienstleistung oder ein Produkt einkauft, hat nicht selten die Möglichkeit, genau diese Dienstleistung oder dieses Produkt CO2-frei zu erwerben. Fluglinien nutzen dieses Angebot ebenso wie Mineralölkonzerne, die ihr Benzin verkaufen. Nicht selten hat der Konsument sogar keine Wahl, sondern erwirbt ein Produkt, das schon CO2-neutral gestellt wurde. Obwohl diese Form der CO2-Neutralisierung immer gängiger wird, überrascht es ein wenig, dass viele Menschen die dahinterstehenden Mechanismen oft nicht kennen und verstehen. Dabei ist der grundlegende Ansatz recht einfach: Unternehmen finanzieren Projekte, von denen erwartet werden kann, dass CO2-Emissionen reduziert oder eingespart werden, die sonst andernfalls entstanden wären. Diese positive Differenz lässt sich dann mit den eigenen – oftmals technisch kaum zu vermeidenden – Emissionen verrechnen. Buchhalterisch und auch real ist durch diesen Vorgang dann tatsächlich ein Beitrag zum Klimaschutz entstanden. Denn dem Klima und der CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist es letztlich immer egal, wo Emissionen entstehen und wo sie vermieden werden. Entscheidend ist immer eine Gesamtbetrachtung. Aus dieser Perspektive wären derartige Kompensationsgeschäfte zunächst einmal eine konstruktive Vorgehensweise, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.

Theorie vs. Praxis

Was sich theoretisch gut und auch vernünftig anhört, ist in der Praxis leider häufig problembehaftet. Zuweilen tun sich sogar ganze Abgründe auf – nicht ohne Grund sind Kompensationsgeschäfte in den letzten Monaten massiv unter Druck gekommen. Die Gründe dafür sind vielschichtig, lassen sich aber grundsätzlich recht gut kategorisieren. So ist das Hauptproblem vieler Kompensationsgeschäfte oft bei Projekten entstanden, die vorgeben, bestehende Wälder zu schützen, die sonst eines Tages abgeholzt werden. Hier stellt sich immer die Frage nach dem Referenzszenario: Was würde tatsächlich passieren, wenn der zertifizierte Schutz nicht stattgefunden hätte? Würde die Fläche zu 10% abgeholzt oder gar zu 100%? Geschieht dies in den nächsten fünf Jahren oder in den nächsten 50 Jahren? Wie sich gezeigt hat, lassen die üblichen Regulatorien der marktdominanten Zertifizierer geradezu absurde Bandbreiten an Annahmen zu. Und natürlich besteht ein ökonomischer Anreiz, immer von einem worst-case-Alterna-tivszenario auszugehen, denn dann lassen sich aus einem bestehenden Projekt die meisten Zertifikate generieren. So werden nicht selten Waldflächen zu einer Zertifikate-Druckmaschine, obwohl genau diese Waldflächen mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit auch in 50 oder 100 Jahren nicht signifikant anders aussehen werden als heute.
Während diese leider recht übliche Form der Zertifikateproduktion zuweilen mit nahezu krimineller Energie und vorsätzlicher Täu-schung einhergeht, sind andere Probleme klassischer Kompensationsgeschäfte eher konzeptioneller Natur. Nehmen wir als Beispiel Zertifikate, mit denen die Aufforstung von Wäldern finanziert wird. Da hier das offensichtliche Alternativszenario in einer Brach- oder Agrarfläche ohne Bäume besteht, ist eine Manipulation durch überzogene worst-case-Alternativszenarien kaum möglich. Trotzdem geht der Investor auch hier eine gewaltige Wette auf die Zukunft ein. Denn ein Baum benötigt gut und gerne 100 Jahre, bis eine Tonne CO2 gespeichert wurde. In den ersten Jahren werden tatsächlich nur wenige Kilogramm CO2 gebunden. Wenn ein Klimaschutzzertifikat langfristig eine tatsächliche Kompensation aktuell stattfindender Emissionen erbringen soll, dann funktioniert das nur, wenn die Aufforstung gelingt und der wachsende Wald mindestens 100, besser gleich 200 Jahre bestehen bleibt. Borkenkäfer, Stürme, Waldbrände und spätere Abholzungen lassen sich aber nie ausschließen. Und selbst wenn der Wald wie geplant auch noch in 100 Jahren steht, so stellt sich immer noch die Frage nach der Zusätzlichkeit: Was wäre gewesen, wenn es dieses Projekt nicht gegeben hätte? Denn in vielen Fällen werden mit derartigen Projekten Maßnahmen finanziert, zu von Staaten ohnehin hätten ergriffen werden müssen, da die Staaten sich in Klimaabkommen dazu verpflichtet haben. Man kann dann als Investor zwar stolz darauf sein, ein sinnvolles Investment finanziert zu haben. Da aber die Zusätzlichkeit nicht gegeben war, kann es auch keine Kompensation ge-ben. Das Kartenhaus des Kompensationsgeschäftes bricht spätestens hier auseinander. Und es kommt noch schlimmer: Unternehmen, die gutgläubig Emissionszertifikate am sog. freiwilligen Kohlenstoffmarkt erwerben, fühlen sich dadurch ermutigt, ihre eigenen CO2-Emissionen erhöhen zu können – im Vertrauen darauf, dass diese kompensiert wurden. Wenn das aber nicht der Fall war, steigen die Emissionen durch die Existenz freiwilliger Emissionszertifikate sogar noch an. Ein eigentlich sinnvolles Instrument macht damit am Ende alles noch schlimmer und konterka-riert das eigentliche Ziel des Klimaschutzes.

Fazit

Freiwillige Emissionszertifikate sind problematisch, da Alternativszenarien fast frei unterstellt werden können und eine Zusätzlichkeit oft nicht sicher gegeben ist. Damit wird der er-hoffte Effekt der Kompensation unmöglich. Im Ergebnis kommt es auf Unternehmensebene zu buchhalterischen Emissionsreduktionen, denen keine tatsächliche Reduktion gegen-übersteht. Wir gehen daher davon aus, dass die Nutzung des freiwilligen Kohlenstoffmarktes für Unternehmen mittelfristig mit erhebli-chen Reputationsproblemen einhergehen wird. Das dürfte auch der Grund sein, warum beispielsweise die Net Zero Asset Owner Alli-ance unter dem Dach der UNO ihren Mitgliedern nun nahelegt, keine Kompensationsge-schäfte auf Portfolioebene durchzuführen.

 

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