Preisprognosen für EU-Emissionszertifikate (EUA) variieren naturgemäß je nach Studie und zugrunde liegenden Annahmen erheblich. Während einige Analysen nur einen modera-ten Preisanstieg prognostizieren, gehen andere bis 2027 von deutlich höheren Preisen aus. Veyt prognostiziert in einer Studie von Oktober 2024 einen Preis von 160 €/t CO₂ im Jahr 2027. Ein Konsensbericht ermittelte einen durchschnittlichen erwarteten Preis von 120 €/t CO₂ im Jahr 2027 . Die Schätzung basiert auf einer Zusammenfassung ver-schiedener Studien und Expertenmei-nungen, die unterschiedliche Szenarien und Annahmen berücksichtigen.
Auch wir bei CAP2 sind überzeugt, dass die Rahmenbedingungen für ein weiteren Anstieg der Preise sprechen. Dafür sehen wir insbesondere die folgenden Gründe.
Vorziehung zukünftiger Auktionsvolumen im Jahr 2024
Im Rahmen des REPowerEU-Plans hat die Europäische Kommission beschlossen, einen Teil der für die Jahre 2027–2030 vorgesehenen Emissionszertifikate be-reits im Jahr 2024 zu versteigern. Dies geschah mit der Begründung, kurzfristige Finanzierungsbedarfe für die Energiewende und die Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu decken. Laut offiziellen Angaben wurden insgesamt rund 34,7 Millionen EUAs vorgezogen und frühzeitig auf den Markt gebracht. Kurzfristig (2024–2025) sorgt die Maß-nahme für ein leicht erhöhtes Angebot an Emissionszertifikaten, was den Preisdruck verringern könnte. Mittel- bis langfristig (ab 2027) führt die Vorziehung zu einer steileren Verknappung der verfügbaren Zertifikate, da das ursprünglich geplante Auktionsvolumen in diesen Jahren geringer sein wird. Dies verstärkt die ohnehin durch jährlichen Cap und Marktstabilitätsreserve intendierte Verknap-pung der verfügbaren EUA zusätzlich ab 2027. Schon früher dürfte die Erwartung der Verknappung zu einem höheren Preisniveau führen.
Weitere Verknappungen durch das „Fit for 55“-Paket
Das im Juni 2023 inkraftgetretene Geset-zespaket enthält eine Vielzahl von Maßnahmen, die in der Summe zu einer deut-lichen Verknappung Emissionsrechte in den kommenden Jahren führen werden.
Stärkere Reduktion der insgesamt verfügbaren Zertifikate (EUA-Cap-Senkung).
Die jährliche Reduktionsrate (Linear Re-duction Factor, LRF) wurde bis 2027 von 2,2 % auf 4,3 % und ab 2028 auf 4,4 % pro Jahr erhöht. Es kommen damit jedes Jahr deutlich weniger neue Emissionsrechte auf den Markt als im Vorjahr. Können nicht im selben Ausmaß Effizienzreserven ausgeschöpft werden, verschlimmert sich die Knappheitssituation der EUA bei gleichbleibendem Produktionsvolumen jedes Jahr deutlich mehr als entlang des ursprünglichen Pfades. Dieses Szenario scheint realistisch, da es kaum möglich sein wird, im selben Umfang Effizienzreserven über alle Produktionsprozesse hinweg zu erreichen.
Einmalige Kürzung des EUA-Angebots
Neben der Erhöhung der jährlichen Re-duktion wurde einmalig eine zusätzliche Kürzung (One-off reduction) von 90 Milli-onen EUA im Jahr 2024 und 27 Millionen EUA im Jahr 2026 beschlossen. Diese Maßnahme entzieht dem Markt auf einen Schlag eine erhebliche Menge an Emissi-onsrechten, für 2024 entspricht dies fast 9 Prozent der insgesamt im Umlauf befindlichen Emissionsrechte (TNAC).
Verschärfung der Marktstabilitätsreserve (MSR)
Die Marktstabilitätsreserve (MSR) ist ein 2019 in Kraft getretener Mechanismus, der „Überschüsse“ an EUA-Zertifikaten aus dem Markt aufnimmt, um den Preis zu stabilisieren. Die Definition des Überschusses erfolgte relativ freihändig und weitgehend theoriefrei durch den Ge-setzgeber. Eine Menge von 400 bis 833 Millionen in Umlauf befindlichen Emissionsrechten (TNAC) wurde als angemessen festgelegt. Bei mehr als 833 Millionen, aber weniger als 1096 Millionen EUA im Umlauf, werden neuerdings alle über 833 Mio hinausgehenden EUA in die MSR eingestellt . Sind mehr als 1096 Millionen EUA in Umlauf, hätten eigentlich ab 2024 wieder 12% der über 833 Millionen hinausgehenden Menge in die MSR eingestellt werden sollen. Bislang wurden 24% der überschüssigen Zertifikate jährlich in die MSR überführt. Diese Regelung wurde bis 2030 verlängert, so dass es vorerst bei der höheren Einstellung von 24% bleibt. Ebenfalls verschärft wurde durch „fit for 55“die maximale Anzahl an EUA, die in der MSR gehalten werden können. Alle darüber hinausgehenden Verschmutzungsrechte werden für immer gelöscht. Galt zuvor eine dynamische Obergrenze, die sich aus der Auktionsmenge des Vorjahres ergab, gilt nun eine zusätzliche absolute Grenze von 400 Millionen. Die dynamische Schwelle bleibt zwar weiterhin bestehen, sie greift jedoch nur noch dann, wenn der MSR-Bestand unter 400 Mio. sinkt, aber noch über der Auktionsmenge des Vorjahres liegt. Basierend auf der Auktionsmenge 2023, die sich anhand der Veröffentlichungen der EU Kommission mit rund 475 Millionen EUA berechnen lässt, wären ohne diese zusätzliche fixe Schwelle folglich etwa 75 Millionen EUA weniger aus der MSR gelöscht worden.
Einbindung des Seeverkehrs in das EU-ETS
Seit dem 1. Januar 2024 wurde der Schiffsverkehr schrittweise in das EU-Emissionshandelssystem (EU ETS) integriert . Dies betrifft zunächst große Seeschiffe (über 5000 BRZ), die zwischen EU-Häfen verkehren oder von/nach Drittländern fahren. Die Regulierung ist so gestaltet, dass die vollständige Abdeckung der Emissionen erst bis 2026 erreicht wird:
• 2024: 40 % der CO₂-Emissionen müssen mit EUAs abgedeckt werden
• 2025: 70 % der CO₂-Emissionen
• 2026: 100 % der CO₂-Emissionen
Für die zusätzlich vom ETS abgedeckten Emissionen werden EUA 78,4 Millionen zusätzliche EUA ausgegeben. Dies dürfte eher knapp bemessen sein. Die Zahl beruht auf einer Schätzung auf Basis von Daten aus EU-Monitoring-, Berichterstattungs- und Verifizierungsverordnung (EU-MRV), die seit 2018 die CO₂-Emissionen von Schiffen mit einer Bruttoraumzahl von über 5.000 erfasst. Im Jahr 2021 betrugen die gemeldeten Emissionen des Seeverkehrs etwa 124 Millionen Tonnen CO₂. Der Haken dabei: Die Menge an EUAs für die Schifffahrt wurde bereits ab 2024 dem Markt zugeteilt, obwohl die tatsächliche Nachfrage aus dem Sektor erst in den kommenden Jahren vollständig zum Tragen kommt (DEHSt, 2024). In dieser Konstellation sind kurz- und mittelfristige Auswirkungen auf den EUA-Preis in unterschiedlicher Richtung zu erwarten. Kurzfristig (2024–2025) könnte ein temporäres Überangebot an Zertifikaten den Preisanstieg bremsen, bzw. bereits gebremst haben, da die Nachfrage durch die Seeschifffahrt erst allmählich anzieht. Mittel- bis langfristig ist ab 2026 durch die vollständige Einbindung des Seeverkehrs mit einem signifikanten Anstieg der Nachfrage zu rechnen, während sich das Angebot nicht weiter erhöht. Steigende Preise wären die Folge.
Anstieg der Energienachfrage bei sich leerenden Gasspeichern
Ein Wiederanstieg der industriellen Aktivität nach wirtschaftlichen Abschwüngen erhöht typischerweise die Nachfrage nach Emissionszertifikaten. Zudem kann ein Anstieg der Gaspreise dazu führen, dass Industrien vermehrt auf kohlenstoffintensivere Brennstoffe wie Kohle zurückgreifen, was wiederum die Nachfrage nach EUAs erhöht. Gleichzeitig haben wir jedoch derzeit ein strukturelles Gasspeicher-Problem in Europa. Das hängt auch mit dem ausgelaufenen Transvertrag für russisches Erdgas zusammen, das bisher über Pipelines in der Ukraine geleitet wurde. Geringe Speicherstände bedeuten aber höhere Gaspreise, und höhere Gaspreise führen zu mehr Kohleverstromung. Dafür werden mehr EUA benötigt, was deren Preise abermals stimulieren dürfte.
Abbau kostenloser Zertifikate für die Industrie
Die kostenlose Zuteilung von EUA-Zertifikaten an bestimmte Industrien (z. B. Stahl, Zement, Chemie) wird ab 2026 schrittweise abgeschafft. Bis 2030 sinkt der Anteil kostenloser Zertifikate bereits um 48 %, bis 2034 um 100 %.
Einige Marktbeobachter erwarten als Folge davon eine weitere Verknappung des Angebots, die ebenfalls preissteigernd wirken würde. Wir gehen eher davon aus, dass hier keine oder nur sehr geringe Preisimpulse freigesetzt werden. Da der CAP im EU ETS und damit die An-zahl verfügbarer EUA gleich bleibt, ändert sich lediglich der Verteilungsmechanismus, nicht die Gesamtmenge. Eine verbreitete Unsicherheit über die zukünftigen Preise und eine damit einhergehende verstärkte Vorratshaltung von EUA könnte allerdings zu einem zusätzlichen Impuls auf die Preise führen. Temporär wäre mit einer höheren Volatilität der Preise zur rechnen, allerdings nicht mit einem nachhaltigen, strukturellen Anstieg. Ob die neu gemischten Karten auf Seiten der Nachfrager dazu führen, dass einzelne Akteure zu relevanter Marktmacht gelangen und durch strate-gische Bieterverhalten Preise beeinflussen könnten, wird abzuwarten sein.